Hintergrund
Das Kartellgericht hat gegen zwei Gesellschaften des STRABAG-Konzerns eine Geldbuße iHv EUR 45,37 Mio wegen kartellrechtswidrigen Preisabsprachen, Marktaufteilungen und Informationsaustausches mit Mitbewerbern in Bezug auf öffentliche und private Ausschreibungen im Bereich Hoch- und Tiefbau in Österreich im Zeitraum von Juli 2002 bis Oktober 2017 verhängt. Aufgrund der im kartellrechtlichen Ermittlungsverfahren abgegebenen, umfangreichen Kronzeugenerklärung und der Abgabe eines Anerkenntnisses für das kartellgerichtliche Verfahren beantragte die BWB eine deutlich geminderte Geldbuße (siehe Pressemitteilung der BWB vom 21.10.2021).
Im Wege der Amtshilfe erlangte die BWB durch die WKStA jedoch Kenntnis über neue Tatsachen, die eine gerichtliche Überprüfung des rechtskräftigen Beschlusses vom 21.10.2021 erforderlich machten, nämlich im Hinblick auf die Einhaltung der vollumfänglichen Kooperation als Kronzeuge. Die BWB ersuchte das Kartellgericht mittels Abänderungsantrag den rechtskräftigen Beschluss vom 21.10.2021 zu überprüfen und gegebenenfalls abzuändern (siehe Pressemitteilung der BWB vom 28.07.2022)
Mit Beschluss vom 20.10.2022 (27 Kt 12/21y-65) hatte das Kartellgericht den Abänderungsantrag der BWB zurückgewiesen. Zusammengefasst führte das Kartellgericht aus, dass eine Gesetzeslücke vorläge und es an der formellen Beschwer der BWB mangle.
Gegen diesen Beschluss hatten sowohl die BWB als auch der Bundeskartellanwalt einen Rekurs an den Obersten Gerichtshof als Kartellobergericht gestellt. Der Oberste Gerichtshof hat nunmehr den Rechtsmitteln mit Beschluss vom 25.05.2023 (16 Ok 8/22w) Folge gegeben, den Beschluss des Kartellgerichts vom 20.10.2022 (27 Kt 12/21y-65) ersatzlos aufgehoben und dem Kartellgericht die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Konkret führte der Oberste Gerichtshof aus, dass der von der BWB gestellte Abänderungsantrag die gesetzlich normierten Voraussetzungen erfüllt und die Zulässigkeit des Antrages entgegen der Einschätzung des Kartellgerichts nicht an der fehlenden (formellen) Beschwer der BWB scheitert. Der Abänderungsantrag der BWB findet seine ganz klare gesetzliche Grundlage in den §§ 72 ff AußstrG und es bestünden keinerlei grundrechtlichen Bedenken gegen diesen Antrag.
„Es kann vielmehr der Effektivität des Kronzeugenprogramms nicht dienen, Unternehmer, denen aufgrund wissentlichen Verschweigens von Kartellrechtsverstößen der Kronzeugenstatus zuerkannt wurde, vor der Verhängung angemessener Geldbußen zu schützen, wenn sich nachträglich ergibt, dass die Bundeswettbewerbsbehörde davon unverschuldet keine Kenntnis hatte.“ so der OGH.
„Eine rechtsstaatlich bedenkliche mangelnde Vorhersehbarkeit des Verwaltungshandelns kann darin, dass die Bundeswettbewerbsbehörde von einem gesetzlich normierten Rechtsbehelf (Abänderungsantrag nach §§ 72 ff AußStrG) Gebrauch macht, ebenfalls nicht erkannt werden.“
„Das ist sicherlich die maßgeblichste Entscheidung der letzten zehn Jahre für den österreichischen Kartellrechtsvollzug. Vergabeabsprachen sind schwerwiegende Delikte, wir setzen unsere Anstrengungen fort, der Oberste Gerichtshof stärkt hier dem Rechtsstaat den Rücken.“ so GD a.i. Natalie Harsdorf-Borsch.
"Das Kronzeugenprogramm im Kartellrecht ist ein großer Erfolg und hat bereits zur Aufdeckung zahlreicher Kartelle beigetragen. Unternehmen müssen aber vollständig mit der BWB kooperieren. Dies hat der Oberste Gerichtshof nun bestätigt." betonte der Bundeskartellanwalt, Mag. Heinz Majer.
Das Verfahren ist jetzt vor dem Kartellgericht fortzusetzen und dort über eine entsprechende Geldbuße zu entscheiden. Geldbußen können gem § 29 KartG bis zu einem Höchstbetrag von 10 % des im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes gegen Unternehmen verhängt werden.
Mit der Wettbewerbsgesetznovelle 2005 wurde auch im österreichischen Wettbewerbsrecht eine Kronzeugenregelung für Unternehmen verankert. Bisher sind über 120 solcher Kronzeugenanträge bei der BWB eingelangt. Kronzeugen müssen wahrheitsgemäß, uneingeschränkt und zügig mit der Bundeswettbewerbsbehörde zwecks vollständiger Aufklärung des Sachverhaltes zusammenarbeiten sowie sämtliche Beweismittel für die vermutete Zuwiderhandlung, die sich in ihrem Besitz befinden oder auf die sie Zugriff haben, vorlegen.