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Verfahren zwischen der Mediengruppe Österreich und den Wiener Linien mit Vergleich vor dem Kartellgericht abgeschlossen

Die Wiener Linien GmbH & Co KG (in weiterer Folge: Wiener Linien) untersagte zunächst der Mediengruppe Österreich GmbH (in weiterer Folge: Mediengruppe Österreich) die Aufstellung von Zeitungsentnahmeboxen in den U-Bahnstationen. Dagegen brachte die Mediengruppe Österreich im Jahr 2009 einen Abstellungsantrag vor dem Kartellgericht ein. Nach einem längeren Verfahren kam es nun zu einer Einigung zwischen den Unternehmen.

Die Mediengruppe Österreich und die Wiener Linien haben nunmehr mit einem Vergleich das zwischen ihnen seit Dezember 2009 anhängige Kartellverfahren abgeschlossen. Dieser Vergleich beendet das Kartellverfahren ohne förmliche Entscheidung des Kartellgerichts. Mit dem Vergleich haben die Unternehmen Folgendes vereinbart:

  • Aufgrund der aktuell der Mediengruppe Österreich von den Wiener Linien gewährten Standorte ist eine Gleichbehandlung mit den der Tageszeitung Heute am relevanten Markt zur Verfügung gestellten Standorten hergestellt.
  • Die Wiener Linien sichern zu, die Mediengruppe Österreich gegenüber der Tageszeitung Heute oder anderen Mitbewerbern in Zukunft nicht zu diskriminieren.
  • Sofern die Wiener Linien der Tageszeitung Heute zukünftig neue Standorte im Nahbereich der U-Bahneingänge gewährt, wird sie der Mediengruppe Österreich gleichwertige Standorte anbieten, soweit dies zur Sicherstellung eines gleichwertigen Entnahmepotenzials erforderlich ist. Dabei sollen neue Standorte vorzugsweise nebeneinander eingeräumt werden.
  • Weiters wird festgehalten, dass die Wiener Linien für die Vergabe von Standorten für Entnahmeboxen von Gratistageszeitungen in den U-Bahnstationen und seit kurzem auch für die Vergabe von Standorten auf öffentlichem Grund der Stadt Wien im Nahbereich (5-Meter-Zone) zu den U-Bahneingängen zuständig sind.

Zum genauen Sachverhalt (ausführlich KOG, 16 Ok 8/14):

Die Gratistageszeitung Heute stellt aufgrund eines Vertrags mit den Wiener Linien aus dem Jahr 2004 ihre Entnahmeboxen in fast allen U-Bahnstationen in der Nähe der Abgänge zu den U-Bahngeleisen auf. Der Mediengruppe Österreich wurde hingegen das Aufstellen einer vergleichbaren Anzahl von Entnahmeboxen in den U-Bahnstationen verwehrt. Stattdessen wurde sie auf die Möglichkeit verwiesen, Standorte im Nahbereich der U-Bahneingänge anzumieten. Diese Standorte stehen als öffentlicher Grund zu 85% im Eigentum der Stadt Wien, die auch für deren Vergabe zuständig war.

Sachlich und räumlich relevanter Markt:

Als sachlich und räumlich relevanter Markt wurde - in der Judikatur der Kartellgerichte unstrittig - der Markt für Vertriebskanäle für Gratiszeitungen in Wien in Stationen der U-Bahn oder unmittelbar vor dem Stationseingang (bis zu 5m Entfernung) definiert. Standorte mit größerer Entfernung zu den U-Bahneingängen wurden als nicht austauschbar angesehen. Dem Markt zuzurechnen sind nicht nur bestehende und potenzielle Standorte für Entnahmeboxen von Gratiszeitungen, sondern auch der Vertrieb durch Selbstbedienungstaschen und durch Handverteilung im räumlich relevanten Markt (KOG, 16 Ok 8/14h, Pkt II.I.4).

Marktbeherrschung - Kartellrechtliche Einheit der Stadt Wien und der Wiener Linien:

Am räumlich relevanten Markt war in der Vergangenheit neben den Wiener Linien vor allem die Stadt Wien maßgeblicher Anbieter von Standorten. Fraglich war die Unternehmenseigenschaft der Stadt Wien bei der Standortvergabe. Das KOG (16 Ok 8/14h, Pkt II.2.1) stellte fest, dass für die wettbewerbsrechtliche Beurteilung nicht relevant sei, ob das Verhalten einer Gebietskörperschaft privatwirtschaftlich oder mit hoheitlichen Mitteln (zB Bescheid) erfolge. Die Standortvergabe der Stadt Wien wurde als marktrelevante Tätigkeit gesehen. Aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Verflechtung der Wiener Linien mit der Stadt Wien wurden beide als wirtschaftliche Einheit angesehen und waren deren Marktanteile iSv § 21 Z 2 KartG zusammenzurechnen. Das KOG hielt fest, dass „mit dem Gutachten und dem Erstgericht kein Zweifel an der Beherrschung des relevanten Marktes durch diese wirtschaftliche Einheit bestehen“ kann.

Marktmachtmissbrauch: Kontrahierungszwang und Diskriminierung

Nicht monopolistische öffentliche Unternehmen sind zur Gleichbehandlung ihrer Vertragspartner verpflichtet und können aus diesem Titel auch einem Kontrahierungszwang unterliegen (RS0016745; KOG, 16 Ok 1/12). Die vom KOG aufgehobene erstinstanzliche Entscheidung des KG im Anlassfall (26 Kt 31/09 unveröffentlicht) hält unter Berufung auf diesen Grundsatz fest, dass die Wiener Linien dem Gebot der Gleichbehandlung durch das Angebot von 66 Standorten im Stationsinneren nicht ausreichend Rechnung getragen hätten, weil damit die Ungleichbehandlung der Mediengruppe Österreich und der Tageszeitung Heute nicht zur Gänze beseitigt worden wäre.

Die Wiener Linien hätten dafür zu sorgen, „dass allen Wettbewerbern die gleiche Anzahl von (gleichwertigen) Stellflächen zur Verfügung steht, sie somit gleichbehandelt werden.“ Gebe es etwa in einer Station zwei geeignete Standplätze, so müssten diese den nachfragenden Unternehmen zu denselben Bedingungen überlassen werden. Gebe es in einer U-Bahnstation nur einen Standplatz, so haben die Wiener Linien auf geeignete Weise für alternative Aufstellmöglichkeiten Sorge zu tragen oder alternative Vergabewege zu wählen (zB Ausschreibung auf Zeit), um eine Ungleichbehandlung der Wettbewerber zu verhindern.

Das KOG hat diesen Ausführungen des KG weder explizit widersprochen noch diese explizit bestätigt, die Entscheidung aber mit der Begründung aufgehoben, dass bei den Erhebungen und Feststellungen zum sachlich und räumlich relevanten Markt nicht die unterschiedliche Größe und Befüllmenge der Entnahmeboxen und auch andere Vertriebsformen (Selbstbedienungstaschen, Handverteilung) nicht ausreichend gewürdigt worden seien. Das KOG konnte daher nicht abschließend beurteilen, ob die Mediengruppe Österreich einer Ungleichbehandlung ausgesetzt sei.

Resümee:

Das KOG hat mit der Entscheidung im Anlassfall, sämtliche aktuellen und potenziellen Standorte von Entnahmeboxen, deren Entnahmepotenzial sowie auch das Potenzial anderer Vertriebsformen (Selbstbedienungstaschen, Handverteilung) am räumlich relevanten Markt in die Prüfung einer Diskriminierung mit einzubeziehen, einen sehr komplexen Prüfungsmaßstab festgelegt. Gleichbehandlung setzt demnach nicht eine auch nach außen deutlich sichtbare und transparente Handhabung, wie etwa das Aufstellen gleichwertiger Boxen nebeneinander, und die Gewährung identischer Entgeltbedingungen voraus. Vielmehr muss gesamthaft für unterschiedliche Vertriebsformen und Standorte ermittelt werden, welche Entnahmepotenziale diese haben und ob die unterschiedlichen Kosten und Entgelte insgesamt zur Benachteiligung der Mediengruppe Österreich im Vergleich zum Mitbewerb führen.

Im fortgesetzten Verfahren wurde nach einer umfangreichen Beweisaufnahmen Anfang 2016 vom Kartellgericht ein ergänzendes Sachverständigengutachten zu diesen Fragen in Auftrag gegeben. Der Sachverständige hatte dabei insb. auch zu würdigen, ob durch zwischenzeitlich von den Wiener Linien angebotene und durch zusätzliche von der Mediengruppe Österreich angefragte Standorte eine allfällige Ungleichbehandlung ausgeglichen werden kann. Die im Oktober 2017 erörterten Gutachtensergebnisse wurden von beiden Verfahrensparteien grundsätzlich in Frage gezogen. Zugleich machten mutmaßliche Verfahren über aktuelle, neue Standortvergaben der Stadt Wien im relevanten Markt klar, dass die aufwendige Diskriminierungsprüfung aufgrund solcher faktisch bedingten Änderungen der Marktgegebenheiten zusätzlich an ihre Grenzen stößt.

Einschätzung der BWB:

Die vergleichsweise Bereinigung des Verfahrens durch die Parteien war bei dieser Sachlage wohl die vielversprechendste Maßnahme zur Beendigung des Rechtsstreits. Der Vergleich sollte Rechtsfrieden zwischen den Parteien schaffen. Die Wiener Linien sind bei der Vergabe von Standorten für Entnahmeboxen von Gratiszeitungen zur Gleichbehandlung verpflichtet. Dies ist eines der wesentlichen praxisrelevanten Erkenntnisse des Verfahrens. Der Vergleich hält explizit fest, dass die Wiener Linien die Pflicht zur Gleichbehandlung der Mediengruppe Österreich mit anderen Konkurrenten (insb. Heute) anerkennen. Schließlich ist auch der Umstand positiv zu bewerten, dass die Wiener Linien am sachlich und räumlich relevanten Markt nicht nur für die Vergabe von Standorten im Inneren der U-Bahnstationen, sondern auch für die Vergabe der Standorte auf öffentlichem Grund der Stadt Wien im 5-m-Eingangsbereich zu den U-Bahnstationen zuständig sind und so am relevanten Markt auch effektiv Gleichbehandlung herstellen können.