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Pressegespräch anläßlich der Branchenuntersuchung Strom

Der erste Zwischenbericht zur derzeit laufenden Branchenuntersuchung des österrreichischen Elektrizitätsmarktes wurde heute im Rahmen eines Pressegespräches vorgestellt. Dazu führte der Generaldirektor für Wettbewerb, Professor Barfuß, aus:

 

I.

Ich begrüße Sie namens der Bundeswettbewerbsbehörde sehr herzlich zu unserem heutigen Pressegespräch, welches gemeinsam mit der E-Control (dem Energieregulator) durchgeführt wird. Ich begrüße vor allem auch den Herrn Bundeskartellanwalt.

Anlaß für das Pressegespräch ist der erste von - wahrscheinlich - mindestens insgesamt drei Teilberichten zur durchgeführten „Untersuchung der österreichischen Elektrizitätswirtschaft".

II.

Wie sie wissen, gehört es zu den zahlreichen Aufgaben der Bundeswettbewerbsbehörde auch, im Falle vermuteter Wettbewerbsverzerrungen sogenannte „Branchenuntersuchungen" durchzuführen. Also „allgemeine Untersuchungen eines Wirtschaftszweigs".

Bei dieser Gelegenheit möchte ich gleich nochmals mit Nachdruck darauf hinweisen, dass eine solche „Branchenuntersuchung" etwas völlig anderes ist als konkrete Ermittlungen wegen Kartellabsprachen oder sonstiger Verstöße gegen das Kartellgesetz. Ich weiß schon, dass die Worte „Kartell", „Kartellvereinbarung", „Kartellgericht", „Verurteilung", „Strafverfahren" „Bußgeldverfahren" etc. spannender, zumindest aber erotischer klingen als „Branchenuntersuchung". Es handelt sich aber um eine „Branchenuntersuchung", und um nicht mehr und nicht weniger.

III.

Es ist im übrigen auch selbstverständlich, dass die Bundeswettbewerbsbehörde im Hinblick auf ihre Personalausstattung gar nicht in der Lage wäre, eine „Branchenuntersuchung" wie die vorliegende allein durchzuführen. Was den energietechnischen und den energiewirtschaftlichen Know-how betrifft, ist und bleibt der Stromregulator federführend. Dennoch haben selbstverständlich Bundeswettbewerbsbehörde und auch der Bundeskartellanwalt am Zustandekommen der „Branchenuntersuchung" intensiv auch inhaltlich mitgewirkt. Die Bundeswettbewerbsbehörde hat überdies vor allem ihren „behördlichen Arm", etwa für bisher rund 800 Auskunftsersuchen, in dieser Sache zur Verfügung gestellt.

IV.

Der Hintergrund der nunmehrigen Branchenuntersuchung ist bekannt: Das nationale Zustandekommen der Energieallianz 2001 und die spätere (2003) Genehmigung der Energie-Austria (ÖSL) durch die Europäische Kommission hatten bereits früher für rege öffentliche Diskussionen gesorgt. Preissteigerungen bei der Belieferung mit Strom - nach einer relativ kurzen Phase von Strom- und Preiswettbewerb - haben zu emotionalen Diskussionen geführt. An dieser Diskussion führend beteiligt war im übrigen nicht wirklich „die Politik", wie das immer wieder gesagt wird, sondern waren die Medien und die Interessengruppen. Vor allem die Industrie, aber auch die Landwirtschaft und die Konsumenten haben sich immer wieder - seit etwa einem Jahr - bei der Bundeswettbewerbsbehörde (und selbstverständlich bei mir persönlich) darüber beschwert, dass die Preise stiegen, dass es keinen Wettbewerb gebe und man zu keinen interessanten Alternativangeboten (sei es im Inland, sei es im Ausland) komme. Dazwischen gab es dann auch immer wieder - im übrigen wahrheitsgemäße - Berichte darüber, dass eine österreichische Organisation gemeinsam mit einem österreichischen Branchenunternehmen die Entscheidung der Europäischen Kommission beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg mit Klage bekämpft und überdies bei der Europäischen Kommission in Brüssel Beschwerde erhoben habe.

V.

Am 14.9.2004 kamen Herr Dipl.-Ing. Boltz und ich überein, dass wir gemeinsam auf Grund des Wettbewerbsgesetzes eine „Branchenuntersuchung" Strom starten sollten. Der Druck der Öffentlichkeit und der betroffenen Interessentengruppen hatten das notwendig gemacht. Und auch der Herr Wirtschaftsminister hat nach telefonischer Ankündigung am 15.9.2004 mit Brief vom 16.9.2004 sowohl die Bundeswettbewerbsbehörde als auch den Stromregulator in aller Form ersucht, eine allgemeine Untersuchung der österreichischen Elektrizitätswirtschaft, also eine „Branchenuntersuchung", in die Wege zu leiten.

Bundeswettbewerbsbehörde, E-Control und Bundeskartellanwalt waren sich sofort darüber einig, dass man sich - schon im öffentlichen Interesse - den Strommarkt näher ansehen muss, und zwar schleunigst.

VI.

Der erste Zwischenbericht liegt ihnen vor; Herr Dipl.-Ing. Boltz wird ihnen diesen dann fachlich näher erläutern.

Ich selbst möchte dazu folgende Bemerkungen machen:

Die rund 800 behördlichen Auskunftsverlangen der Bundeswettbewerbsbehörde bzw. die gegebenen Antworten bestätigten:

 

  • Die angestammten Versorger haben in ihren jeweiligen traditionellen Gebieten nach wie vor eine sehr starke Marktstellung.
  • Das Ausmaß des „Versorgerwechsels" bewegt sich auf niedrigem Niveau.
  • Alternative und interessante Angebote aus dem Inland bleiben weitestgehend aus; ausländische Anbieter spielen eine völlig unbedeutende Rolle. Das günstigste Angebot stammt weit überwiegend vom angestammten Versorger.
  • Die Tarifmodelle, die zum Teil den reinen Energiepreis nicht gesondert ausweisen (z.B. All-Inclusive-Verträge), erschweren die Vergleichbarkeit der Angebote. Die Transparenz hält sich also in Grenzen.
  • Energie-Allianz und Österreichische Stromlösung werden zunehmend kritisch hinterfragt, zumal der seinerzeit erwartet gewesene nationale und vor allem auch europäische Wettbewerb nicht eingetreten ist.
  • Stark kritisiert wird die Höhe von Steuern, Abgaben und Zuschlägen, und auch die Netztarife werden von den Kunden als überhöht angesehen und als Benachteiligung neuer Anbieter gegenüber angestammten Versorgern bezeichnet.
  • Auf große Kritik stößt auch das durchgehende sich Gebundenhalten der Stromversorger an Börsennotierungen, wenn es um die Verkaufspreise geht.

VII.

Damit ist die weitere Stoßrichtung der Branchenuntersuchung vorgezeichnet:

  • Sind die Preiserhöhungen tatsächlich und inwieweit durch gestiegene Großhandelspreise schlüssig erklärbar?
  • Wie sehr ist die faktische Bindung an Börsennotierungen wirtschaftlich und rechtlich nachvollziehbar?
  • Durch welche Maßnahmen können Markteintrittsbarrieren (insbesondere auch ausländischer Versorger) reduziert werden? Der Staat? Die Eigentümer? Die Politik? Wer ist gefragt?
  • In welchen angestammten Versorgungsgebieten existiert in einem kartellgesetzlichen Sinn eine „marktbeherrschende Stellung"? Ist es wahr, dass sie missbraucht wird? Gibt es in diesem Zusammenhang besondere rechtliche und/oder politische Verpflichtungen, sich stärker an dem zu orientieren, was man „öffentliches Interesse" oder „Gemeinwohl" nennt?
  • Und letzten Endes geht es auch um die Frage, ob die Verhältnisse, wie sie sich am Markt entwickelt haben, eine Neubewertung und allenfalls Modifikation von Energie-Allianz und ÖSL aus heutiger Sicht nahe legen. Meiner persönlichen Auffassung nach wird man zumindestens über ein Paket, das ich „Wettbewerbsbelebungsprogramm" nenne, handelseins werden müssen, um den derzeitigen Gegebenheiten Rechnung zu tragen. Ich persönlich war und bin zwar nach wie vor ein grundsätzlicher Anhänger österreichischer Stromallianzen, weil der europäische Wettbewerb meiner Meinung nach irgendwann kommen wird, weil wir weitere Leitungs- und Erzeugungskapazitäten brauchen u.s.w. Leider ist aber der europäische Wettbewerb - aus den verschiedensten Gründen, die durchaus nicht schwergewichtig in Österreich liegen - nicht so schnell entstanden, wie das noch vor wenigen Jahren - je nach Standpunkt und Interesse - „sehnsüchtig erwartet" oder „wie die Pest gefürchtet" wurde. Wenn aber dieser europäische Wettbewerb einmal kommt, dann sollte es auch noch österreichische Player geben, die mithalten können, auf Bundesebene und auf Landesebene. Nur, meine sehr geehrten Damen und Herren: Uns alle interessiert derzeit, wie es im Hinblick auf den nicht erwartungsgemäß eingetretenen europäischen und auch nicht eingetretenen nationalen Wettbewerb derzeit weitergehen kann, soll und muss. Wenn es nämlich nicht gelingt, raschest ein „Wettbewerbsbelebungsprogramm", wie ich es nenne, zu installieren, das auch für Gemeinwohlverträglichkeit und für die ausreichende Wahrung des öffentlichen Interesses sorgt, dann werden Energie-Allianz und ÖSL (die letztere existiert bekanntlich noch gar nicht vollständig) in Frage gestellt und letzten Endes wahrscheinlich - von Eigentümern und Politik selbst - tatsächlich kräftiger modifiziert werden, als das vielleicht - derzeit noch - klug und weitsichtig erscheint.

 

VIII.

Wie auch immer: Die laufende Branchenuntersuchung, deren erster Zwischenbericht ihnen vorliegt, wird die Dinge weitertreiben und sich bemühen, die zahllosen Argumente und Gegenargumente, die in der öffentlichen Diskussion aufeinander prallen, soweit wie möglich zu verifizieren oder zu falsifizieren. Die Schlussfolgerungen und vor allem die praktischen Konsequenzen werden dann die Eigentümer (damit die Politik), bis zu einem gewissen Grad aber auch die Behörden, insbesondere der Regulator, und gegebenenfalls auch Gerichte zu ziehen haben.