Home » News » Detail

Merck Sharp & Dohme GmbH einigte sich mit BWB vor dem Kartellgericht auf Verpflichtungszusagen zur Beendigung eines Verfahrens wegen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung im Vertrieb von Arzneimittel mit dem Wirkstoff Temozolomid

Die Verpflichtungszusagen sind geeignet, die kartellrechtlichen Bedenken auszuräumen.

Die BWB stellte im Mai 2020 beim Kartellgericht einen Antrag auf Feststellung eines Missbrauchs marktbeherrschender Stellung durch Kampfpreise im Vertrieb des Arzneimittels Temodal® gegen Merck Sharp & Dohme GmbH mit Firmensitz in Wien.

Um die Bedenken hinsichtlich eines Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung auszuräumen hat das Unternehmen Verpflichtungszusagen im März 2021 vor dem Kartellgericht angeboten. Aus Sicht der BWB sind die Verpflichtungszusagen geeignet, die kartellrechtlichen Bedenken auszuräumen.

Betroffener Wirtschaftszweig: Das Arzneimittel Temodal® (Wirkstoff: Temozolomid) kommt im onkologischen Bereich bei den Hirntumoren - sog. „Glioblastome“ - zum Einsatz.

Das Glioblastom ist der häufigste vorkommende Gehirntumor bei Erwachsenen. Jährlich werden ungefähr 350 Neuerkrankungen im Jahr in Österreich verzeichnet. Arzneimittel mit dem Wirkstoff Temozolomid gehören zur Standardtherapie bei der Behandlung dieses besonders bösartigen Hirntumors.

Ermittlungen der BWB

Die Europäische Kommission hat im November 2016 bei dem Unternehmen Merck Sharp & Dohme GmbH eine Hausdurchsuchung wegen des Verdachts von Verstößen gegen Art 102 AEUV durch Kampfpreise im Vertrieb des Arzneimittels Temodal® an Krankenanstalten durchgeführt. Die BWB begann im Jahr 2018 Ermittlungen in Österreich und stellte nach deren Abschluss im Mai 2020 einen Antrag auf Feststellung des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung beim Kartellgericht.

BWB hat im Rahmen der Ermittlungen eine vertiefende Marktuntersuchung durchgeführt

Im Rahmen der Marktuntersuchung wurde der Markt für das onkologische Arzneimittel mit dem Wirkstoff Temozolomid vertiefend geprüft sowie den Vorwurf der Kampfpreisstrategie des Unternehmens näher analysiert.

Die Ermittlungen haben folgende Ergebnisse ergeben:

  • Betroffener Markt: Betroffen ist der Markt für den Wirkstoff Temozolomid im Bereich der Krankenanstalten (intramuraler Bereich)
  • Marktmacht: Das Unternehmen hat eine marktbeherrschende Stellung aufgrund von einem Marktanteil über 85 % bei dem Wirkstoff Temozolomid im betroffenen Markt
  • Kampfpreisstrategie: Das Unternehmen verfolgte eine Kampfpreisstrategie, welche Markteintritte von Generika erschweren
  • Negative Auswirkungen: Die vorgeworfene Kampfpreisstrategie lässt langfristig höhere Kosten für das Gesundheitssystem erwarten wie auch eine geringere Liefersicherheit  im betroffenen Markt

Betroffener Markt und Marktmacht

Der Markt für Arzneimittel mit dem Wirkstoff Temozolomid in Österreich gliedert sich aufgrund unterschiedlicher Wettbewerbsbedingungen in den intramuralen (Krankenanstalten) sowie den extramuralen Bereich (niedergelassenen Bereich).

Der konkrete Vorwurf der BWB bezieht sich auf den Bereich der Krankenanstalten.

Nach Berechnungen der BWB hat das Unternehmen einen Marktanteil von über 85 % am Markt für das Arzneimittel mit dem Wirkstoff Temozolomid im Bereich der Krankenanstalten und einen Marktanteil von rund 90 % im niedergelassenen Bereich.

Die Erstmedikation mit Temodal® erfolgt bei Patienten und Patientinnen stationär in der behandelnden Krankenanstalt, wobei diese bzw die Krankenhausapotheke das Präparat vom Hersteller direkt bezieht und abrechnet. Nach dem stationären Aufenthalt wird die Behandlung ambulant fortgesetzt. Die weitere Verschreibung des Arzneimittels erfolgt dann im niedergelassenen Bereich, durch spezialisierte Ärzte und Ärztinnen. Üblicherweise sind es dieselben Spitalsärzte und Spitalsärztinnen, bei denen Patienten oder Patientinnen bereits in Behandlung gewesen sind.

Die BWB geht strukturbedingt von starken Lock-in Effekten zugunsten der Erstverschreibung aus. Unter einem Lock-In Effekt versteht man das der Wechsel auf ein anderes Produkt unwahrscheinlich ist. In diesem Fall haben Spitalsärzte und Spitalsärztinnen kaum Anreiz andere Produkte mit dem Wirkstoff Temozolomid zu verschreiben.

Methode der Kampfpreisstrategie - Markteintritte erschwert

Die Kampfpreisstrategie des Unternehmens sorgte dafür, dass Krankenanstalten keine Anreize hätten, auf Generika des Arzneimittels zu wechseln, wodurch erfolgreiche Markteintritte von Generikaherstellern verhindert werden würden.

Nach Ansicht der BWB nahm die Merck Sharp & Dohme GmbH durch Vergabe des Medikaments unter den Kosten im Bereich der Krankenanstalten Verluste in Kauf, um andere Wettbewerber vom Markt zu drängen. Die Folgeverschreibung nach der Spitalsentlassung erfolgte im niedergelassenen Bereich, wobei das verschreibungspflichtige Arzneimittel in der Apotheke erworben wird und dadurch die entstandenen Verluste wieder ausgeglichen werden sollten.

Im Rahmen einer Strategie sollen nach Ablauf des Patentschutzes zur Abschottung von Generikaherstellern im Vertrieb des Arzneimittels Temodal® an Krankenanstalten, Preisunterbietungen durchgeführt worden, Preise unter Kosten gesetzt sowie Gratisabgaben zu Verfügung gestellt worden sein. Manche Krankenanstalten erhielten zeitweise ausschließlich Gratisabgaben zur Ersteinstellung.

Durch die Kampfpreisstrategie des Unternehmens hatten Krankenanstalten keine Anreize, auf kostengünstigere Generika des Arzneimittels zu wechseln, wodurch erfolgreiche Markteintritte von Generikaherstellern im Zeitraum des vorgeworfenen Verstoßes verhindert wurden.

Negative Auswirkungen: Erhöhte Kosten für das Gesundheitssystem und geringere Liefersicherheit

Krankenanstalten profitierten zwar unmittelbar durch niedrigere Kosten bei der Erstverschreibung des Medikaments. Bei der Weiterverschreibung im niedergelassenen Bereich sind jedoch mittelfristig Preisnachteile durch höhere Kosten für das Gesundheitssystem zu erwarten. In der Gesamtschau führt dies wiederum zu höheren Kosten für das Gesundheitssystem. Einen weiteren Aspekt stellt die Liefersicherheit dar, welche besser gewährleistet ist, wenn es mehrere Anbieter von Medikamenten gibt. Die Verpflichtungszusagen sollen diesen negativen Auswirkungen entgegenwirken.

Merck Sharp & Dohme GmbH einigte sich auf Verpflichtungszusagen

Das Unternehmen einigte sich mit der BWB vor dem Kartellgericht auf folgende Verpflichtungszusagen:

1. Einstellung der Kampfreisstrategie

Das Unternehmen verpflichtet sich Temodal® -Produkte nicht unter den durchschnittlichen variablen Kosten für Krankenanstalten (intramuraler Bereich) abzugeben (bezogen auf das jeweilige Angebot oder die jeweilige Bestellung).

2. Übermittlung der Kostenberechnung an die BWB

Das Unternehmen ist verpflichtet binnen 2 Monaten ab Inkrafttreten dieser Verpflichtungszusagen, eine Berechnung der durchschnittlichen variablen Kosten vertraulich an die BWB zu übermitteln.

3. Verpflichtung zur Einhaltung aller kartellrechtlicher Bestimmungen

Das Unternehmen bekennt sich ausdrücklich zu einem fairen Wettbewerb sowie zur Einhaltung aller geltenden nationalen und internationalen kartellrechtlichen Bestimmungen, insbesondere in Bezug auf den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung, der abgelehnt und in keiner Weise toleriert wird. Dies inkludiert insbesondere auch die proaktive Verdrängung neu in den Markt eintretender Wettbewerber.

4. Compliance Maßnahmen

Um Verstößen vorzubeugen, wird das Unternehmen ein internes Kontrollsystem integrieren sowie regelmäßige verpflichtende Compliance-Schulungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durchführen.

5. Mindestens 10 Jahre Geltungsdauer

Die in 1, 3 und 4 abgegebenen Verpflichtungszusagen gelten jedenfalls für einen Zeitraum von 10 Jahren und hiernach weiterhin, sofern das Unternehmen im Markt für den Vertrieb von Temozolomid-Produkten an Krankenanstalten in Österreich oder am Markt für den Vertrieb von Temozolomid-Produkten im niedergelassenen Bereich in Österreich eine marktbeherrschende Stellung einnimmt.

Sollte das Unternehmen gegen die Verpflichtungszusagen verstoßen, kann die BWB einen Antrag auf Geldbuße beim Kartellgericht beantragen.

Die Entscheidung des Kartellgerichts ist rechtskräftig.

Merck Sharp & Dohme GmbH Verpflichtungszusagen