Seit 2017 beschäftigt sich die BWB im Rahmen einer Branchenuntersuchung mit dem österreichischen Gesundheitsmarkt und veröffentlichte bereits die Teilberichte „Der Markt für öffentliche Apotheken“ und „Die Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum". Nun folgt der dritte Teilbericht zur „Arzneimittelversorgung aus wettbewerblicher Sicht“.
Ziel ist es, mögliche Wettbewerbsprobleme zu identifizieren und mögliche Korrekturmaßnahmen aufzuzeigen. Wettbewerb erhöht die Innovationskraft in Märkten und verbessert die Marktbedingungen für Unternehmen, von welchen Konsumenten und Konsumentinnen durch bessere Angebote oder Preise profitieren.
3. Teilbericht: Arzneimittelversorgung aus wettbewerblicher Sicht
Der dritte Teilbericht beschäftigt sich mit der Arzneimittelversorgung in Österreich. Seit mehreren Jahren bestehen in diesem Bereich erhebliche Herausforderungen. Durch die SARS-CoV-2 Pandemie rückt der Fokus auf eine gesicherte Arzneimittelversorgung in Österreich noch näher. Die Ergebnisse der Untersuchung betreffen den Zeitraum März 2020 bis Dezember 2020.
Die Branchenuntersuchung stützt sich auf Auskunftsverlangen an Marktteilnehmer, wissenschaftliche Literatur, einschlägige Publikationen sowie auf intensive Gespräche mit Unternehmen, Interessenvertretungen, Institutionen, welche im Gesundheitsmarkt tätig sind, Ministerien und den gesundheitspolitischen Sprechern und Sprecherinnen.
Folgende Themen wurden im Rahmen der Untersuchung unter anderem vertiefend analysiert:
- Risiko der Arzneimittelknappheit
- Arzneimittelkosten in Österreich
- Preisbildung bei Medikamenten
- Unternehmensübernahmen im Pharmabereich
- Eigentumsverhältnisse an öffentlichen Apotheken
Bei den Themen wurde der österreichische und europäische Rechtsrahmen sowie die aktuellen Entwicklungen der Marktbedingungen beachtet.
Ergebnisse der Branchenuntersuchung
Die Branchenuntersuchung brachte im Hinblick auf die Sicherstellung der Arzneimittelversorgung folgende Ergebnisse:
- Risiko der Arzneimittelknappheit in Österreich erhöht
Die Arzneimittelknappheit hat sich zwischen 2000-2018 in der Europäischen Union verzwanzigfacht. Mit Stand 14.5.2021 waren in Österreich 356 Arzneimittel im Register für Vertriebseinschränkungen des Bundesamts für Sicherheit im Gesundheitswesen gelistet. Rund 85 % dieser Produkte galten dabei zu diesem Zeitpunkt als nicht oder nur eingeschränkt verfügbar. Insbesondere waren davon Medikamente für die Behandlung des Nervensystems sowie für Herz- und Gefäßerkrankungen betroffen.
Die Gründe hierfür sind vielfältig: Kapazitätsengpässe und Verzögerungen bei der Medikamentenproduktion sowie die Verknappung von benötigten Wirkstoffen oder erhöhter Mehrbedarf können als Beispiele genannt werden.
Hinterfragt wurde ebenfalls der Einfluss der SARS-CoV-2 Pandemie auf die Verfügbarkeit von Arzneimitteln. Aus den zahlreichen Gesprächen ergaben sich im Bereich Medikamente zu dem Zeitpunkt der Untersuchung keine konkreten Hinweise auf Liefereinschränkungen, die mit der Pandemie in Verbindung stünden. Allerdings kann sich dies jederzeit ändern und bedarf daher einer regelmäßigen Evaluation.
- Arzneimittelkosten in Österreich
Im internationalen Preisvergleich sind die Ausgaben in Österreich trotz einem unterschiedlichen Preisniveaus mit knapp 600 Euro pro Kopf hoch. Österreich lag im Vergleich mit 16 anderen Ländern auf Platz 4 bei den Kosten.
- Preisbildung bei Medikamenten und Parallelhandel
Die Preisgestaltung ist aufgrund nationaler Regelungen in Europa stark unterschiedlich. Dabei können die Preisunterschiede zwischen den Ländern bis zu 300 % betragen.
Durch diese Preiseunterschiede haben Arzneimittelgroßhändler einen erhöhten Anreiz, Parallelhandel zu betreiben und Produkte in Ländern mit höheren Arzneimittelpreisen vermehrt zu vertreiben. Dies kann dazu führen, dass in Ländern mit niedrigeren Preisen, wie teilweise in Österreich, Medikamente nicht ausreichend zu Verfügung stehen. Parallelhandel kann daher ein möglicher Treiber von Arzneimittelknappheit sein. Von Apotheken und der Industrie wird das niedrige Preisniveau und die mangelnde Attraktivität des Standortes für die steigenden Liefereinschränkungen genannt.
- Unternehmensübernahmen im Pharmabereich
Unternehmensübernahmen und die dadurch steigende Marktkonzentration im Pharmabereich können sich negativ auf die Arzneimittelversorgung etwa durch Lieferengpässe auswirken. Unternehmen können dadurch Marktmacht erlangen und somit Preise für Medikamente erhöhen sowie kostenintensive Forschung & Entwicklung minimieren. Generell steigt die Marktkonzentration im Pharmabereich stark an. In einem Betrachtungszeitraum von 30 Jahren ist die Anzahl von 110 Unternehmen auf ungefähr 30 Unternehmen gesunken.
- Beteiligung des Arzneimittelgroßhandels an öffentlichen Apotheken
Die Untersuchung ergab, dass Großhändler ein strategisches Interesse haben sich an öffentlichen Apotheken zu beteiligen, etwa um höhere Margen zu erwirtschaften. Aufgrund der hohen Logistikkosten beziehen öffentliche Apotheken durchschnittlich 50 bis 90 % des Gesamtbedarfes von einem einzigen Arzneimittelgroßhändler. Aus Wettbewerbsperspektive werfen Beteiligungen Bedenken auf, weil sie Arzneimittelgroßhändlern ermöglichen, Einfluss bei öffentlichen Apotheken auf den Absatz und die Preise zu nehmen. Die Beteiligungen an öffentlichen Apotheken haben seit 2013 kontinuierlich zugenommen.
„Die Marktkonzentration im Pharmabereich ist mit Sorge zu sehen, da diese Wissenskonzentration zu höheren Preisen und Angebotsverknappung von Arzneimitteln führen kann. Ebenfalls leidet dadurch die Innovationskraft. Unternehmen haben einen geringeren Anreiz kostenintensive Forschung zu betreiben oder Forschungsnischen zu bedienen. Dies hat negative Auswirkungen für Konsumenten und Konsumentinnen, da dadurch weniger Produktvielfalt zu höheren Preisen angeboten werden könnte“, erklärt Dr. Theodor Thanner, Generaldirektor der BWB."
Empfehlungen der BWB zur Sicherung der Arzneimittelversorgung
Anhand der Ergebnisse der Branchenuntersuchung hat die BWB 9 Empfehlungspunkte erarbeitet, welche dazu dienen, ein wettbewerbsfreundlicheres Umfeld zu schaffen und somit einer Arzneimittelknappheit entgegenwirken sollen;
- Evaluierung der Preisbestandteile von Arzneimitteln, insbesondere hinsichtlich der gesetzlichen Aufschläge (Großhandels- und Apothekenaufschlag).
- Neben klassischen standortpolitischen Maßnahmen, wie etwa der Forcierung von e-health Anwendungen und Digitalisierung oder Verbesserung der medizinischen Infrastruktur, sollten in diesem Sinne auch Maßnahmen wie europarechtskonforme finanzielle Anreizsetzungen zB Preiserstattungen für nachweislich in der Europäischen Union produzierte Arzneimittel oder Wirkstoffe gesetzt werden. In diesem Zusammenhang sollten etwa GMP-Konformität, Ökologie und faire Arbeitsbedingungen berücksichtigt werden.
- Erarbeitung eines transparenten Kriterienkatalogs für unentbehrliche Arzneimittel oder Wirkstoffe, auf die im Rahmen einer standortpolitischen Anreizsetzung ein besonderer Fokus hinsichtlich einer Produktion in der Europäischen Union gesetzt werden sollte.
- Grundsätzlich sollte die Abhängigkeit von einzelnen Zulieferern reduziert und der Bezug auf mehrere Zulieferer ausgeweitet werden. Im Ergebnis wird mehr Wettbewerb in diesem Bereich zu einer höheren Versorgungssicherheit führen. Eine Evaluierung der Wirksamkeit der Zusammenschlussanmeldungen bei der BWB anhand der Überschreitung der Transaktionswertschwelle, welche insbesondere im Hinblick auf die Übernahme von Start-up-Unternehmen unter dem Aspekt des Schutzes von Innovationspotenzialen und Innovationswettbewerb abzielt, kann für weitergehende rechtspolitische Überlegungen eine Unterstützung bieten.
- Bessere Abstimmung und Vereinheitlichung der Parallelexportregelungen in den Mitgliedstaaten.
- Anpassungen von Rechtsvorschriften, etwa hinsichtlich der Ausdehnung des meldeberechtigten Adressatenkreises in der VO-Arzneimittelversorgung, Vereinfachung der RL-Fälschungsschutz für Arzneimittel und Vereinheitlichung der Kriterien für Zertifizierungen.
- Erhöhung der Transparenz der Produzenten bei der Festlegung länderspezifischer Arzneimittelkontingente auf der Basis eines Kriterienkatalogs.
- Weitere Fokussierung der bestehenden Initiativen im Zusammenhang mit Arzneimittelversorgung, etwa durch Taskforces auf nationaler und europäischer Ebene.
- Beschränkung der höchst zulässigen Eigentumsanteile des Arzneimittelgroßhandels öffentlichen Apotheken.
Weitere Berichte zur Branchenuntersuchung im Gesundheitsbereich sind in Planung.