BWB/K-50 Haftungsverbund Erste Bank / Sparkassen

Die BWB beantragte 15.1.2004 beim Kartellgericht die Untersagung des Vertragswerkes zum Haftungsverbund Erste Bank und 53 weitere Sparkassen wegen wettbewerbswidrige Absprache.

Zum 1.1.2002 haben Erste Bank der oesterreichischen Sparkassen AG ("Erste Bank") und 53 Sparkassen eine Grundsatzvereinbarung abgeschlossen, die eine umfassende Zusammenarbeit der Vertragspartner vorsieht. Die meisten der 53 Sparkassen stehen mit der Erste Bank in keinem Konzernverhältnis und sind "rechtlich unabhängig". Kernpunkte der Vereinbarung waren die Vereinheitlichung der Geschäfts- und Marktpolitik und die Gründung eines Haftungsverbundes mit der Verpflichtung zu einem Früherkennungssystem und zur gegenseitigen Unterstützung bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten eines der Partner. Zur Umsetzung der Grundsatzvereinbarung wurde ein Gemeinschaftsunternehmen (sHaftungs- und Kundenabsicherungs GmbH) gegründet. Mit 1.9.2002 haben die Vertragsparteien eine Ergänzungsvereinbarung abgeschlossen, mit der sich die Vertragsparteien zu einer noch engeren Zusammenarbeit verpflichteten (gemeinsame Beiräte, weitestgehende gegenseitige Transparenz etc.). 

Diese vertraglichen Verpflichtungen ermöglichten der Erste Bank - auf Grund einer Änderung des Bankwesengesetzes - die Konsolidierung der Mittel der Sparkassen als Eigenmittel (rund 300 Mio €), weil eine Kreditinstitutsgruppe (zwischen ihr und den Sparkassen) entstanden ist. 

Die Sache wurde mittels Beschwerde (der Bank Austria - Creditanstalt) zuerst bei der Europäischen Kommission im März 2003 (und im Mai 2003 bei der Bundeswettbewerbsbehörde) anhängig gemacht. Aufgrund des großen Nahebezuges zu Österreich trat die Europäische Kommission noch im April 2003 an die Bundeswettbewerbsbehörde heran und hat ihr den Fall abgetreten. (Die Europäische Kommission hat daraufhin ihr Verfahren eingestellt.) Die Bundeswettbewerbsbehörde hat die Beschwerde geprüft und mit Schriftsatz vom 15.1.2004 beim Kartellgericht die Untersagung des Vertragswerkes zum Haftungsverbund wegen Verstosses gegen Artikel 81 EG (wettbewerbswidrige Absprache) beantragt. (Durch eine Novelle des Bankwesengesetzes und des Kartellgesetzes im Jahr 2002 war nationales Wettbewerbsrecht - zumindest teilweise - auf Haftungsverbünde nicht anwendbar.) Dem Antrag der Bundeswettbewerbsbehörde hat sich die Bank Austria - Creditanstalt angeschlossen.

In einem Zwischenbeschluss (dem Grunde nach) vom 13.6.2006 hat das Kartellgericht nach zweieinhalbjähriger Verfahrensdauer dem Antrag der Bundeswettbewerbsbehörde stattgegeben und die Vereinbarungen für (teilweise) kartellrechtswidrig erklärt.

Im Einzelnen analysiert das Kartellgericht auf 270 Seiten die umfangreichen vertraglichen und faktischen Gegebenheiten des Haftungsverbundes. Einzelne Teile des Vertragswerkes (v.a. die Ergänzungsvereinbarung) sowie die gemeinsame Preisfestsetzung über einen sogenannten Kreditrechner (auf der gemeinsamen Internetseite der Erste und der Sparkassen) widersprechen EG-Kartellrecht (Artikel 81 Absatz 1 EG). Durch die Ergänzungsvereinbarung wird die gesamte Datenübermittlung nicht nur an die sHaftungsgmbH, sondern auch an die Erste Bank durchgeführt. Dadurch erhält die Erste Bank als unmittelbarer Wettbewerber der Sparkassen zusätzlichen Einblick in die Geschäftspolitik und -planung der Sparkassen, die sie sonst nicht hätte. Dies vor dem Hintergrund, dass Sparkassen und Erste Bank seit vielen Jahren ohnedies "Parallelaktivitäten" im Sektor bereinigen - z.B. durch eine gemeinsame Marke, durch Filialenabtausch, gemeinsame Produkte und Plattformen etc.). Dieser Effekt wird dadurch verstärkt, dass die Geschäftsführer der HaftungsgmbH auch Angestellte der Erste Bank sind.

Das Kartellgericht kommt in seiner ausgewogenen Entscheidung jedoch auch zum Ergebnis, dass Teile der Kooperation nicht nur sinnvoll sind, sondern auch zum Vorteil der Verbraucher und damit "freistellbar" (im Sinne von Artikel 81 Absatz 3 EG) sind. Dies bestätigt voll und ganz die von der Bundeswettbewerbsbehörde im Verfahren vertretene Auffassung, wonach bei der Gründung des an sich sinnvollen Haftungsverbundes (unter Nichtbeachtung eines sozusagen "Bepackungsverbotes") Teile hinzugenommen wurden, die seine kartellrechtliche Unzulässigkeit bewirkt haben.

Erste Bank hat gegen die Entscheidung Rekurs erhoben. Bank Austria - Creditanstalt hat erklärt, ebenfalls Rekurs erheben zu wollen. Die Bundeswettbewerbsbehörde hat naturgemäß kein Rechtsmittel erhoben.

Haftungsverbund: Zusammenschluss Erste Bank und Sparkassen (27 Kt 599/04, BWB/KF-10).

21.12.2006

1. Vorgeschichte (Untersagungsverfahren 27 Kt 18, 83/04, BWB/K-50):

Zum 1.1.2002 haben Erste Bank der oesterreichischen Sparkassen AG ("Erste Bank") und 53 Sparkassen eine Grundsatzvereinbarung abgeschlossen, die eine umfassende Zusammenarbeit der Vertragspartner vorsieht und deren Säule eine gemeinsame Geschäfts- und Marktpolitik einerseits und die Gründung eines Haftungsverbundes andererseits sind. Mit 1.9.2002 haben die Vertragsparteien eine Ergänzungsvereinbarung abgeschlossen, mit der sich die Vertragsparteien zu einer noch engeren Zusammenarbeit entschlossen. Diese Vereinbarungen ermöglichten der Erste Bank im übrigen - auf Grund einer Änderung des Bankwesengesetzes - die Konsolidierung der Mittel der Sparkassen als Eigenmittel (rund 300 Mio €).

Gegen diese Vereinbarungen brachten Anfang 2004 die Bundeswettbewerbs-behörde (wie zu BWB/K-50 berichtet) und eine Mitbewerberin der Erste Bank Untersagungsanträge beim Kartellgericht ein, weil die Vereinbarungen, soweit sie die Vereinheitlichung der Geschäfts- und Marktpolitik sowie den umfangreichen Informationsaustausch betreffen, wettbewerbsbeschränkend sind. 

Diesen Anträgen gab das Kartellgericht in seinem Zwischenbeschluss vom 13.6.2006 statt und erklärte die Vereinbarungen für (teilweise) kartellrechtswidrig (Verstoß gegen Artikel 81 Abs. 1 EG). Gegen diese Entscheidung haben Erste Bank und die Mitbewerberin Rekurs erhoben. (Näheres zu diesem Verfahren: "Veröffentlichungen / Kartell- und Missbrauchsverfahren" - "BWB/K-50"). 

2.: Feststellungsverfahren Erste Bank - Wiener Neustädter Sparkasse (27 Kt 599/04, BWB/KF-10): 

Parallel zu obigem Untersagungsverfahren brachte die Erste Bank im Dezember 2004 einen Feststellungsantrag ein, mit dem das Kartellgericht feststellen sollte, dass (vereinfacht gesagt) zwischen ihr und den 53 Sparkassen aufgrund der Grundsatzvereinbarung vom 1.1.2002 und der Ergänzungsvereinbarung vom 1.9.2002 ein Zusammenschluss (§ 7 Abs. 1 Z. 5 KartG 2005: "beherrschender Einfluss") vorliegt (womit die Anwendung der Kartellbestimmungen auf den Haftungsverbund ausgeschlossen wäre.) 

In einem ersten Gerichtsgutachten wurde festgestellt, dass Grundsatz- und Ergänzungsvereinbarung aus dem Jahr 2002 keinen Zusammenschluss begründen. Daraufhin hat die Erste Bank (nur) mit der Wiener Neustädter Sparkasse im November 2005 die bisherigen Vereinbarungen modifiziert und eine Zusatzvereinbarung geschlossen.

Das Kartellgericht stellte in seinem Beschluss vom 9.11.2006 fest, dass die Modifikation der ursprünglichen Vereinbarungen sowie die Zusatzvereinbarung einen "beherrschenden Einfluss" der Erste Bank auf die Wiener Neustädter Sparkasse begründen und nunmehr ein Zusammenschluss (§ 7 Abs. 1 Z. 5 KartG 2005) vorliegt. (Dieser Zusammenschluss wurde unter der Bedingung der kartellrechtlichen Freigabe begründet und müsste erst noch angemeldet werden.)

Gegen diese Entscheidung des Kartellgerichtes hat die Bundeswettbewerbsbehörde Rekurs erhoben: Erste Bank und Wiener Neustädter Sparkasse wollten eigentlich keinen Zusammenschluss vereinbaren, sondern bloß eine Kooperation, im Wesentlichen in Form einer gemeinsamen Geschäfts- und Marktpolitik und des Haftungsverbundes. Hätte sie einen Zusammenschluss vor Augen gehabt, so hätte sie diesen auch – wie sie es in zahlreichen anderen Fällen stets ordnungsgemäß getan hat – angemeldet. In der Folge gab das Untersagungsverfahren 27 Kt 18, 83/04 (s. oben) jedoch Anlass zur Befürchtung, diese Kooperation könnte als Verstoß gegen Art 81 EG (zumindest teilweise) untersagt werden. Dieser Umstand ließ es den Antragstellern offenbar erstrebenswert erscheinen, ihre Kooperation in einen – ursprünglich nicht beabsichtigten – Zusammenschluß umzudeuten. Das dahinterstehende Ziel war, daß Vereinbarungen zwischen verbundenen Unternehmen der Kontrolle am Maßstab des Art 81 EG bzw (nunmehr) § 1 KartG 2005 entzogen wären.

Ob das Akzeptieren dieser Konstruktion mit der vom Kartellgesetz gebotenen "wirtschaftlichen Betrachtungsweise" vereinbart werden kann oder nicht, das wird vom Kartellobergericht zu beurteilen und zu entscheiden sein.