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Zusammenfassung der bisherigen Ergebnisse der Untersuchungen bezüglich des österreichischen Tankstellenmarktes

Die wettbewerbsrelevante Fragestellung:

 

Im Zentrum der Untersuchungen der Bundeswettbewerbsbehörde stand die Frage, ob sich am Endkundenmarkt (Tankstellenmarkt) für Treibstoffe Hin­weise auf ein abgestimmtes Verhalten erschließen lassen. Die rechtliche Grundlage bietet § 11 Abs 1 Kartellgesetz, der „aufeinander abgestimmte … Verhaltens­weisen" betrifft, die eine Beschränkung des Wettbewerbs (bewirken)", unabhängig davon, ob diese beabsichtigt sind oder nicht. Der Tatbestand setzt nicht voraus, dass zwischen den Unternehmen Absprachen getroffen wurden. Im Zuge ihrer Analysen ist die BWB nicht davon ausgegangen, dass kartellrechtswidrige Absprachen stattfinden. Zur Erläuterung sei angemerkt, dass an die BWB keinerlei Hinweise in dieser Richtung herangetragen worden sind.

Der Tatbestand des § 11 Abs 1 KartG setzt voraus, dass sich bei den wesentlichen wett­bewerblichen Parametern, also insbesondere der Preisentwicklung, ein gleiches Verhalten der Unternehmen feststellen lässt. Diese gleich gerichteten Verhaltens­weisen sind aber nur dann inkriminiert, wenn sie „weder zufällige noch nur markt­bedingte" sind, also nicht durch die gleichen wirtschaftlichen Faktoren hervorgerufen werden. Das Vorliegen eines Verhaltenskartells kann daher nur aus Indizien abgeleitet werden.

Das europäische Recht geht im Grunde von gleichen Gesichtspunkten wie das österreichische Recht aus. So kann etwa Parallelverhalten nur dann als wichtiges Indiz für eine abgestimmte Verhaltensweise betrachtet werden, „wenn es sich … allein durch die Abstimmung einleuchtend erklären lässt" [1]. Daher kann die Frage, ob österreichisches oder europäisches Wettbewerbs­recht anzuwenden wäre, außer Acht gelassen werden.

Die Herausforderung für die Analyse des Tankstellenmarktes besteht folglich darin, zum einen die Entwicklung der Preise an den Zapfsäulen zu analysieren und zum anderen jene wirtschaftlichen Faktoren zu bestimmen und in ihrem Zusammenwirken darzustellen, welche die Preisentwicklung beeinflussen. Davon abzugrenzen sind die Faktoren, welche als Indizien für ein wettbewerbswidriges, aufeinander abgestimmtes, Verhalten zu werten sind. Die Trennlinie zwischen erlaubtem Parallel­verhalten und verbotenem abgestimmten Verhalten zu ziehen, ist sowohl in methodischer als auch in empirischer Hinsicht extrem schwierig und mit großen Unsicherheiten behaftet.

Nicht Teil der Fragestellung sind …

 

In diesem Zusammenhang ist auf folgendes Problem hinzuweisen: Die durch das Kartell­­gesetz und die Wettbewerbsökonomie vor­gegebene Fragestellung unter­scheidet sich wesentlich von jener, die in der Öffentlich­­keit bzw. in der publizierten Meinung im Vordergrund steht: Es geht nicht in erster Linie um die Höhe der Preise; weder im Hinblick auf einzelne Kostenfaktoren noch in Relation zum Preisniveau in anderen Ländern. Und es geht insbesondere auch nicht darum, ob diese Preise „gerechtfertigt" wären.

Des Weiteren ist anzumerken, dass wichtige Bestimmungs­gründe für die Wett­bewerbs­intensität durch externe Rahmenbedingungen vorgegeben sind, die nicht Gegenstand einer wettbewerblichen Bewertung im Sinne des Kartell­gesetzes sein können. Es befinden sich darunter einige Faktoren, denen für den Marktein- und austritt bzw. hinsichtlich des Zugangs zum österreichischen Markt erheblicher Bedeutung zukommt. Anzuführen sind insbesondere gewerbe- und umweltschutz­recht­liche Aspekte, welche zum einen die Errichtung und Schließung von Tank­stellen und zum anderen die Liefer­möglichkeiten ausländischer Raffinerien beein­flussen.

Grundlagen der Preisanalyse:

Zur Analyse der Entwicklung der Treibstoffpreise an den Tankstellen steht eine große Datenmenge zur Verfügung. Die beiden Autofahrerclubs, ÖAMTC und ARBÖ, erheben täglich die Preise an ca. 1200 bis 1500 bzw. an 600 Tankstellen. Die erhobenen Daten sind eine äußerst wertvolle Quelle für die Analyse der Preisentwicklung und der sie beeinflussenden Faktoren. Dieser Aspekt steht in der Tat im Zentrum der oben aufgeworfenen Frage­stellung. Dass diese Daten nicht als Ergebnis einer Zufallsstichprobe gewertet werden können [2], ist demgegenüber von untergeordneter Bedeutung, da der Fokus der Untersuchung nicht auf dem Niveau der Preise liegt.

Ergänzend hatte die Bundes­­wett­­bewerbsbehörde Informationen von den vier wichtigsten Unternehmen der Mineral­öl­­wirt­schaft angefordert (förmliche Auskunfts­er­suchen nach § 11 Wettbewerbsgesetz).

Von der Bundeswettbewerbsbehörde wurde die von ÖAMTC und ARBÖ erhobene Daten­menge nur ausschnittweise genutzt. Nicht bloß wegen des Umfangs der Datenmenge wäre eine Gesamtnutzung nicht ressourcenschonend gewesen. Über­dies lässt insbesondere die von den beiden Autofahrerclubs laufend durch­geführte Analyse ihrer Daten im Hinblick auf die internationale Preisentwicklung eine Duplizierung entbehrlich erscheinen.

 

Die Beziehung der Tankstellenpreise zu internationalen Preisnotierungen:

In der Untersuchung der Preisreihen gelangte die Bundeswettbewerbsbehörde zu der Auffassung, dass, wiewohl in der Öffentlichkeit vielfach die Entwicklung des Rohölpreises als unmittelbarer, kurzfristig wirkender Einflussfaktor auf die Tank­stellen­­preise dargestellt wird, ein deutlicher Zusammenhang nur mit den Rotter­damer Produktnotierungen, bereinigt um Wechselkursänderungen des Euro zum US-Dollar, gegeben ist [3]. Dieser Zusammenhang zwischen Produktnotierungen und Endverbraucherpreisen ist aber weder in der Relation der beiden Größen noch hinsichtlich des Zeitablaufes der Preisanpassung fix und schematisch. So liegt das Ausmaß des „lags" zwischen der Änderung der Produktnotierungen und der darauf folgenden Änderung der Tankstellenpreise in der Mehrzahl der Beobachtungen zwischen einem und sieben Tagen.

Wie oben dargelegt, bezieht sich die wettbewerbsrelevante Fragestellung nicht darauf, welcher Aufschlag auf die Rotterdamer Produktnotierungen bzw. welcher Anpassungszeitraum „gerechtfertigt" wären. Es wurde aber der Frage nach­gegangen, ob das Anpassungsmuster zwischen den Rotterdamer „Referenz­preisen" einerseits und den Tankstellenpreisen andererseits systematisch Kennzeichen aufweist, die auf wettbewerblich bedenkliches Verhalten hinweisen könnten; etwa in dem Sinne, dass Preis­bewegungen der Rotterdamer Notierungen nach oben systematisch in einem stärkeren Ausmaß gefolgt würde als Preisbewegungen nach unten. Die der Bundes­wett­bewerbsbehörde zur Verfügung stehenden Informationen ließen im länger­fristigen Vergleich keine systematische Abweichung erkennen. Eventuell für einzelne Monate feststellbare Muster lassen vorerst keine Rück­schlüsse auf eine Veränderung der Wett­bewerbs­situation zu.

Die räumliche Komponente der Preislandschaft:

Hinsichtlich der räumlichen Preisentwicklung zeigen sich einige Gegebenheiten, die, nach Auffassung der Bundeswettbewerbsbehörde besonderes Augenmerk ver­dienen, da sie von wettbewerblicher Relevanz sein können. Dies sind zum einen das Preisgefälle zwischen den Bundesländern und zum anderen die kleinräumige Preis­gestaltung:

Hinsichtlich der großräumigen regionalen Preis­gestaltung, gelangte die Bundes­wettbewerbsbehörde zu der Auffassung, dass die dadurch gegebene „Preis­geografie" Österreichs in hohem Maße mit der Bevölkerungsballung in Agglomerationen und der Entfernung (in logistisch-kosten­mäßigem Sinne) zu Raffinerie­­standorten konform geht. Dies entspricht in etwa dem, was man a priori unter wett­bewerbs­ökonomischen Gesichtspunkten erwarten würde: Die mit großen Agglomerationen (insbes. Wien und Umland) verbundene höhere Tank­stellen­dichte führt tendenziell zu stärkerem Wettbewerb und einem damit gegebenen stärkeren Druck auf die Preise. Damit korrespondiert, dass unter logistischen Gesichtspunkten auch niedrigere Preise (im Vergleich zu anderen Regionen) getragen werden können.

In der kleinräumigen Preisgestaltung verdient das Phänomen der sogenannten „Preistrichter" Aufmerksamkeit. Damit werden Preiskonstellationen verkehrsmäßig eng verbundener [4] Tankstellen bezeichnet, die sich von den sie umgebenden Tankstellen - auch der gleichen Marken - durch ein niedrigeres Preisniveau abheben. Dieses Phänomen an sich ist wettbewerblich unbedenklich und ist auf Grund der auf diesem Markt gegebenen Wettbewerbsmechanismen (siehe unten) durchaus erklärbar. Wettbewerblich bedenklich wäre der zu Grunde liegende Preis­anpassungs­mechanismus beispielsweise dann, wenn - etwa in Verknüpfung mit Preis­führerschaft - die Preistrichter zur Bestrafung von „Außenseitern" dienen. Wegen der Fülle und Variabilität der Preistrichter liegt eine umfassende Analyse weit jenseits der Ressourcenausstattung, die der Bundeswettbewerbs­behörde zur Verfügung steht. Die, u.a. auf Basis von Internet- und Telefonrecherchen, gewinn­baren Informationen lassen allerdings weder erkennen, dass die Preistrichter systematisch durch „Außen­seiter" (d.h. nicht-marken­gebundene Tankstellen) bewirkt werden, noch lassen die vorliegenden Informationen Rückschlüsse auf die Preisführerschaft einer spezifischen Marke zu.

Spezifika des Treibstoffmarktes:

Der auf dem Treibstoffmarkt gegebene Wettbewerbsmechanismus zeichnet sich durch einige Spezifika aus, welche die zu beobachtenden Preissetzungs­mechanismen zum Teil erklären können:

1. Die Treibstoffe werden von den Konsumenten als weitgehend homogene Güter eingestuft, obwohl die Mineralölgesellschaften versuchen, markenspezifische Qualitäten hervor­zukehren.

2. Ein hohes Maß an Preistransparenz: Die relevanten Preisinformationen können von der Konkurrenz beinahe in Echtzeit eruiert werden. Die Reaktion auf Preis­änderungen der Konkurrenz ist binnen kürzester Zeit möglich. Auch der Konsument kann sich leicht (über die Homepages der beiden Autofahrerverbände sogar unternehmens­neutrale) aktuelle Preisinformationen verschaffen.

3. Eine begrenzte Zahl von großen „Spielern", die sogenannten „Majors", die es erleichtert, mögliche Reaktionen abzuschätzen. Auch frühere staatliche Koordinations­mechanismen (Preisregelung, Preismonitoring) können dazu beige­tragen haben, ein gegen­seitiges „Vertrauenskapital" zu schaffen. Möglicherweise dienen die sogenannten Richtpreise, die de facto nur in einer ganz kleinen Gruppe von Tankstellen (insbes. Autobahntankstellen) gelten, dazu, die jeweils ausgesendeten Preissignale zu verstärken.

4. Insbesondere das hohe Gewicht der Rohstoffkosten und der Steuern bewirken eine, verglichen mit anderen Branchen, relativ gleichförmige Kostenstruktur zwischen den Wettbewerbern.

5. Die einzelnen Marken verfolgen zwar übergeordnete Strategien, letztlich findet der Wettbewerb aber jeweils in einem abgegrenzten kleinräumigen Gebiet zwischen einzelnen Tankstellen statt.

Zwei Detailfragestellungen hinsichtlich der Preisstrategien:

Neben den oben dargestellten generellen Fragestellungen war die Bundes­wett­bewerbs­­behörde in ihrer Marktanalyse bestrebt, sich bestimmter Detail­entwicklungen besonders anzunehmen, die Hinweise auf ein unter wettbewerblichen Gesichts­punkten bedenkliches Verhalten bieten könnten. Es waren dies zum einen die regelmäßig zu beobachtenden wöchentlichen Variationen der Preise und zum anderen das Marktsegment der Tankstellen an Autobahnen.

Die Ergebnisse bezüglich dieser beiden Detailfragen können folgendermaßen zusammen­gefasst werden:

Die Preisentwicklung zeigte in den Jahren 2002 und 2003 deutlich ein wieder­kehrendes wöchentliches Muster, wobei allerdings für die Preisanhebungen nicht der gleiche, relativ fixe, periodische Verlauf festzustellen ist wie bei den Preis­senkungen. Während sich die Preisanpassungen nach unten sehr stark auf den jeweiligen Montag konzentrierten, erfolgten die Preisanhebungen an verschiedenen Tagen der Wochenmitte, vor allem Mittwoch und Donnerstag. Ein Zusammenhang mit den regelmäßigen Preiserhebungen, die auf europäischer Ebene jeweils am Montag durch­geführt werden, ist vor dem Hintergrund des sogenannten „Gentlemen´s Agreement" (zw. Mineralölwirtschaft und Politik) wahrscheinlich.

Seit dem Frühjahr 2004 - insbesondere seit Bekanntwerden des Interesses der Bundeswettbewerbsbehörde - lässt sich dieser wöchentliche Rhythmus allerdings nicht mehr (in einem signifikanten Ausmaß) verfolgen: Im Mai/Anfang Juni 2004 war der Verlauf generell durch einen Anstieg der Preise geprägt; in den darauf folgenden Wochen lässt sich keine signifikante Konzentration von Preisanhebungen bzw. -senkungen auf bestimmte Abschnitte der Woche erkennen.

Die Bundes­wett­bewerbs­behörde sah keinen Anlass, bezüglich dieser Fragestellung weiter zu recherchieren, da, selbst wenn dieses Verhalten als kartellgesetzwidrig erwiesen werden könnte, die Abstellung eines bereits beendeten Verhaltens nach der geltenden Praxis von Kartellgericht und Kartellobergericht nicht möglich ist.

Die Autobahntankstellen sind dadurch charakterisiert, dass auf diesem Markt­segment nur die sogenannten „Majors" tätig sind, sich durch die begrenzte und de facto unveränderbare Zahl und Örtlichkeit der Tankstellen nur eine geringe Wettbewerbsdynamik ergibt und dass es sich bei den Autobahntankstellen um sehr umsatzstarke [5] Verkaufsstellen handelt. In der Preissetzung ließen sich - an Hand der von ÖAMTC und ARBÖ erhobenen Stichprobe - für die Jahre 2001 und 2002 weitgehend idente Preise feststellen, die sich an den Richtpreisen der OMV orientierten. Seit 2003 ist eine Preisdifferenzierung zu beobachten, die allerdings in ihrer Schwankungs­breite deutlich unter jener der übrigen Markentankstellen bleibt. Ergänzend sei angeführt, dass die von den Majors publizierten Richtpreise als De-facto-Maximalpreise im Großen und Ganzen nur an den Autobahntankstellen effektiv verlangt werden.

Die geringere Schwankungsbreite der Tankstellenpreise an den Autobahnen kann allerdings nicht unbesehen als Indiz für eine Abstimmung des Verhaltens heran­ge­zogen werden. Eine marktwirtschaftliche Erklärung dieses Phänomens ist zum einen darin zu finden, dass durch das Nicht­vorhanden­sein von Diskontern gleich­sam der untere Teil der Verteilungskurve der Preise „abgeschnitten" wird. Zum anderen geht in die Preisgestaltung an Autobahntankstellen auch eine generelle „Autobahn-Standortrente" ein. Selbst unter Einbeziehung dieser Faktoren lässt sich allerdings – unter anderem auch mangels einer adäquaten Bezugsgröße („benchmark") - nach dem derzeitigen Informationsstand - nicht bestimmen, ob die geringere Streuung der Tankstellenpreise an Autobahnen Ausfluss einer bewussten Wettbewerbs­ein­schränkung durch die Mineral­ölfirmen ist.

 

 

Derzeitiger Stand:

Hinsichtlich der Frage, ob sich auf dem Tankstellenmarkt Hinweise auf ein Verhaltens­kartell gem. § 11 Abs 1 KartG feststellen lassen, ist - beim gegebenen Stand der Informationen (sektorale weitere Untersuchungen durch die Bundeswett­bewerbsbehörde sind beabsichtigt) - festzuhalten, dass

1. die Untersuchungen keine Hinweise auf ein (noch bestehendes) gleich­gerichtetes Verhalten ergeben haben, das sich nicht auch durch marktwirt­schaftliche Faktoren erklären ließ, und

2. sich keine Ansatzpunkte ergeben haben, die derzeit weiteren Recherchen eine angemessene Erfolgswahrscheinlichkeit zumessen lassen.

Der Tankstellenmarkt wird von der Bundeswettbewerbbehörde nach Maßgabe ihrer Ressourcen weiter im Auge behalten werden.

 


 

[1] Mestmäcker, E-J., Schweitzer, H.: Europäisches Wettbewerbsrecht, München 2004, S. 251.

[2] Wegen der Technik der Daten­sammlung und teilweise im Hinblick auf ihren Verwendungszweck (Information der Kraftfahrer über die günstigsten Tankstellen) kann mit guten Gründen ein Bias, eine Verzerrung des Niveaus nach unten, vermutet werden,

[3] Die Rohstoffnotierungen beeinflussen allerdings besonders die Trends, welche der Preis­entwicklung auf Endverbraucherstufe zu Grunde liegen.

[4] D.h. primär relevant ist nicht der Abstand per se zwischen zwei Tankstellen, sondern der Abstand auf der jeweils relevanten Verkehrsachse. Daraus ergibt sich für die Untersuchungen aber auch die Schwierigkeit, das jeweils relevante Gebiet ohne Untersuchung vor Ort abzugrenzen.

 

[5]