Das Kartellgericht erklärt Verpflichtungszusagen für Exklusivvertrieb von Medizinprodukten für bindend

Die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) hat am 18.05.2018 einen Antrag auf Verbindlicherklärung von Verpflichtungszusagen (§ 27 KartG) gegen zwei Unternehmen des Medizinproduktesektors im Zusammenhang mit der Einräumung eines Exklusivvertriebsrechts gestellt. Das Kartellgericht erklärte mit Beschluss vom 10.10.2018 die von den beiden betroffenen Unternehmen abgegebenen Verpflichtungszusagen im Zusammenhang mit einem exklusiven Vertriebssystem für Medizinprodukte für bindend. Der Beschluss ist rechtskräftig.

Spruchveröffentlichung:

128 Kt 4/18k-8

Das Oberlandesgericht Wien als Kartellgericht hat durch den Richter des Oberlandesgerichts Mag. Schaller als Vorsitzenden und die Richterin des Oberlandesgerichts Mag. Thier sowie die fachkundigen Laienrichter KR Mag. Ginner und KR Dr. Taurer in der Kartellrechtssache der Antragstellerin Bundeswettbewerbsbehörde, 1030 Wien, Radеtzkystraßе 2, gegen die Antragsgegnerinnen Erstantragsgegnerin und Zweitantragsgegnerin, vertreten durch [...] wegen Abstellung (§ 26 KartG), nach öffentlicher mündlicher Verhandlung den

Beschluss

gefasst:

Folgende Verpflichtungszusagen der Antragsgegnerinnen werden für bindend erklärt:

(A) Die Vereinbarung zwischen Erstantragsgegnerin und Zweitantragsgegnerin über den Vertrieb allgemein chirurgischer Instrumente der der Erstantragsgegnerin durch Zweitantragsgegnerin in Österreich ist dergestalt auszulegen, dass diese Vereinbarung folgenden Einschränkungen unterliegt:

(a) Soweit diese Vereinbarung Wettbewerbsbeschränkungen enthält, die unter Art 101 Abs 1 AEUV fallen, wird die Vereinbarung dergestalt ergänzt, dass die nachstehenden Einschränkungen (b) bis (f) gelten, soweit nicht Ausnahmen vom Anwendungsbereich des Kartellrechts oder Rechtfertigungsgründe vorliegen.

(b) Die vertragliche Vereinbarung zwischen Erstantragsgegnerin und Zweitantragsgegnerin bezweckt weder die Bindung an Fest- oder Mindestverkaufspreise noch die Festlegung von Höchstpreisen oder Preisempfehlungen, die sich wie Fest- oder Mindestverkaufspreise auswirken (Art 4 lit a vGVO);

(c) Die vertragliche Vereinbarung zwischen Erstantragsgegnerin und Zweitantragsgegnerin bezweckt keine Beschränkungen des Gebiets- oder des Kundenkreises von Zweitantragsgegnerin mit Ausnahme von zulässigen (Art 4 lit b vGVO):

(i) Beschränkungen des aktiven Verkaufs in exklusive oder vorbehaltene Gebiete oder an exklusive oder vorbehaltene Kundengruppen,

(ii) Sprunglieferungsverboten,

(iii) Beschränkungen im Rahmen eines selektiven Vertriebssystems,

(iv) Beschränkungen der Möglichkeiten von Zweitantragsgegnerin, Bestandteile, die zwecks Einfügung in andere Erzeugnisse geliefert werden, an Kunden zu verkaufen, welche diese Bestandteile für die Herstellung derselben Art von Erzeugnissen verwenden würden, wie sie Erstantragsgegnerin herstellt.

(d) Die vertragliche Vereinbarung zwischen Erstantragsgegnerin und Zweitantragsgegnerin bezweckt keine Beschränkungen des Verkaufs von Ersatzteilen (Art 4 lit e vGVO).

(e) Die vertragliche Regelung zwischen Erstantragsgegnerin und Zweitantragsgegnerin ist dahingehend auszulegen, dass passive Verkäufe im Sinne der vGVO nicht verboten sind.

(f) Es ist gemeinsames Verständnis von Erstantragsgegnerin und Zweitantragsgegnerin, dass die Beschränkung aktiver Verkäufe im Rahmen des Alleinvertriebs in vorbehaltene Gebiete und an vorbehaltene Kundengruppen nur bis zu einer Marktanteilsschwelle von 30 % von der vGVO erfasst ist (Art 4 lit b (i) vGVO) und dass diese darüber einer speziellen Rechtfertigung gemäß Art 101 Abs 3 AEUV bedürfen.

(B) Erstantragsgegnerin und Zweitantragsgegnerin sagen ferner zu, dass sie sich bei Ausschreibungen öffentlicher Auftraggeber in Österreich nach den anwendbaren bundes- und landesvergaberechtlichen Gesetzen (Bundesvergabegesetz und Vergabegesetze der Bundesländer) gegenüber Ausschreibungsteilnehmern so verhalten werden, als sei deren Teilnahme an einer solchen Ausschreibung passiver Verkauf im Sinne der vGVO (LLvB Rz 51). Sie werden dies bei der Teilnahme und der Unterstützung sowie Belieferung von Teilnehmern an den Ausschreibungen berücksichtigen.

Dies gilt für Ausschreibungen, die der Erledigung unaufgeforderter Bestellungen einzelner Kunden gleichzusetzen sind, und so lange, solange es keine Judikatur zur Frage der Einordnung von solchen öffentlichen Ausschreibungen als aktiven oder passiven Verkauf gibt. Bei Änderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen gilt diese Zusage an die geänderten gesetzlichen Rahmenbedingungen als dergestalt angepasst, dass Erstantragsgegnerin und Zweitantragsgegnerin kein Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen Marktteilnehmern entsteht.

(C) Erstantragsgegnerin bzw Zweitantragsgegnerin werden die in den Zusagen A und B dargestellten Grundsätze auch im Verhältnis zu anderen Händlern bzw Lieferanten berücksichtigen. Die Erstantragsgegnerin verpflichtet sich, binnen drei Monaten ihren exklusiven Gebietshändlern im EWR gegenüber schriftlich (auch per E-Mail) klarzustellen, dass die in den Zusagen A und B dargelegten Einschränkungen auch für deren jeweilige Vertragsbeziehung gelten können.