BWB/K-77 Asphaltmischanlage

Beschluß des Obersten Gerichtshofs als Kartellobergericht vom 26. Juni 2006 (16 Ok 51/05), mit dem der von den Antragsgegnern angefochtenen Beschluß des Kartellgerichts vom 5. September 2005 aufgehoben und die Sache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen wurde.

Sachverhalt:

Die Antragsgegner (bzw deren Konzerngesellschaften/Rechtsvorgänger) meldeten am 12. März 1998 beim Kartellgericht die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens zum Betrieb eines Asphaltmischwerkes als Zusammenschluß an. Mit Beschluß vom 10. August 1998 sprach das Kartellgericht aus, daß kein Zusammenschluß, sondern vielmehr ein vereinbartes Absichtskartell vorliege, da sich die Gründer verpflichteten, im Einzugsbereich des Gemeinschaftsunternehmens keine neuen Asphaltmischanlagen zu errichten bzw sich an solchen zu beteiligen, und Bezugsverpflichtungen der Konzerne Gesellschafter vorgesehen waren. Der Oberste Gerichtshof als Kartellobergericht bestätigte mit Beschluß vom 15. Dezember 1998 diese Entscheidung (vgl 16 Ok 15/98).

Mit Gesellschaftsverträgen vom 15. März 1999 gründeten die Antragsgegner (mit Beteiligungen von je 25%) eine Gesellschaft zu Errichtung und Betrieb einer Asphaltmischanlage an ebendiesem Standort. Mit Errichtung dieser Anlage wurden zwei veraltete Mischanlagen in der Region stillgelegt.

Gang des Verfahrens:

Mit Schriftsatz vom 15. April 2004 beantragte der Bundeskartellanwalt die Untersagung der weiteren Durchführung des Kartells gemäß § 25 KartG 1988 sowie die Auferlegung eíner Geldbuße, da die Antragsgegner das seinerzeit als Absichtskartell qualifizierte Vorhaben durchgeführt sowie weitere Wettbewerbsbeschränkungen bezweckt und bewirkt haben. Auch die Bundeswettbewerbsbehörde beteiligte sich an diesem Verfahren.

Das Kartellgericht führte ein umfassendes Ermittlungsverfahren durch, in dem ua folgende Feststellungen getroffen wurden:

  • Die Gesellschafter der Mischanlage gehörten bei Gründung zu den vier größten Straßenbauunternehmen Österreichs mit gemeinsamen Marktanteilen von rund 80% am österreichischen Straßenbaumarkt.
  • Im Einzugsbereich der gemeinsamen Anlage sind deren Gesellschafter allein, gemeinsam oder mit Dritten an einer Reihe weiterer Mischanlagen beteiligt.
  • Die gemeinsame Anlage hat am regionalen Markt einen Anteil von rund 10% an der Gesamtmischgutproduktion.
  • Anhand der Produktionswerte haben die Konzerne der Gesellschafter am regionalen Markt für Asphaltmischgut einen Marktanteil von rund 75%, österreichweit rund 70%.
  • Für die gemeinsame Anlage sind drei Geschäftsführer bestellt, die weitere Funktionen innerhalb der Mutterkonzerne innehaben.
  • In mehreren Gesellschafterversammlungen wurden die Einkaufspreise der Mutterkonzerne für von der gemeinsamen Anlage benötigte Vorprodukte erörtert.
  • Trotz Überkapazitäten und Rationalisierungsmaßnahmen stieg der Preis für Asphaltmischgut bis zum Jahr 2002 kontinuierlich an.
  • Bis zum Jahr 2004 boten die Straßenbauunternehmen der jeweiligen Partner das Asphaltmischgut zu nahezu gleichen Preisen an.

Das Kartellgericht ging vom Vorliegen eines (nicht genehmigten)Absichtskartells aus, weil

  • die Vereinheitlichung wesentlicher Kosten durch die gemeinsame Produktion sowie die Reduktion der Anzahl der Produktionsstätten offensichtlich gewesen sei,
  • die beteiligten Konzerne als regionale wie nationale Wettbewerber auf allen relevanten Märkten Anteile von über 70% halten,
  • über eine Vielzahl weiterer Asphaltmischanlagen miteinander verbunden sind und
  • das gemeinsame Vorgehen von Wettbewerbern stets auch auf eine Interessenskoordinierung abziele.

Weiters sprach das Kartellgericht aus, daß all diese Umstände den beteiligten Konzernen bewußt waren und es nicht um die nachträgliche Entdeckung unerwarteter Wirkungen ging . Ein Bagatellkartell lag nicht vor, weil gemäß § 2 Z 2 KartG 1988 auch die Marktanteile der konzernverbundenen Unternehmen zu berücksichtigen waren.

Die weitere Durchführung dieses Kartells wurde untersagt, die Entscheidung über den Geldbußenantrag wurde vorbehalten.

In ihrem Rekurs machten die Antragsgegner geltend:

  1. Nichtigkeit, da das Kartellgericht über den verfahrenseinleitenden Antrag hinausgegangen sei.
  2. Unrichtige rechtliche Beurteilung, da keine Wettbewerbsbeschränkung - und allenfalls bloß ein Wirkungskartell sowie ein Bagatellkartell - vorliege.

Der Oberste Gerichtshof als Kartellobergericht (KOG) stellte das Nichtvorliegen der behaupteten Nichtigkeit fest, da das Kartellgericht seine amtswegigen Ermittlungen "im Rahmen des Antrags sowie der Behauptungen des Bundeskartellanwalts" durchgeführt habe und "nichts anderes ausgesprochen [habe], als beantragt wurde". Im übrigen bewirke eine Überschreitung des Verfahrensgegenstandes lediglich eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens.

Zur Rechtsrüge wies das KOG zunächst auf die (verfahrensrelevante) zwischenzeitig eingetretene Änderung der Rechtslage durch das Inkrafttreten des KartG 2005 zum 1. Jänner 2006 hin. Dadurch wurde (hinsichtlich der Rechtsfolge) die Unterscheidung zwischen bezweckten und bewirkten Wettbewerbsbeschränkungen bedeutungslos. Weiters wurde in Anlehnung an das Gemeinschaftsrecht das System der "Legalausnahme" übernommen. Das Bagatellkartell wurde neu definiert und orientiert sich nunmehr am Marktanteil der daran beteiligten Unternehmer (und nicht mehr an dem durch das Kartell betroffenen Markt).

Das KOG schloß somit das Vorliegen eines Bagatellkartells aus. 

Zum Vorliegen einer Wettbewerbsbeschränkung führte das KOG unter sinngemäßer Heranziehung der "Leitlinien der Europäischen Kommission zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EG-Vertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit" aus:

  • Eine Vereinbarung zur Gründung eines Unternehmens, das nicht unter der gemeinsamen Kontrolle seiner Anteilseigner steht, bezweckt für sich allein genommen keine Einschränkung des Wettbewerbs, sofern nicht besondere Umstände Vorliegen.
  • Gemeinsame Produktion als solche ist keine Vereinbarung, die bezweckt, die Erzeugung einzuschränken.
  • Die vereinbarte Stillegung der alten Anlagen kann die Annahme einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung nicht hinreichend begründen, da im Vordergrund die technisch bessere und kostengünstigere Produktion in der neuen Anlage stand.
  • Vereinbarungen über den unmittelbar von der Produktionsvereinbarung betroffenen Ausstoß und die Festsetzung der Verkaufspeise im Rahmen eines auch den Vertrieb übernehmenden ProduktionsGU gelten nicht als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen.
  • Eine gemeinsame Preisfestsetzung für von den Gesellschaftern selbst vertriebenes Asphaltmischgut wurde nicht festgestellt.

Das KOG verneinte im Ergebnis das Vorliegen einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung und prüfte die Wirkungen. Dabei wurde berücksichtigt, daß alle beteiligten Unternehmen im Markt der gemeinsamen Anlage sowie auf dem nachgelagerten Straßenbaumarkt tätig sind. Die beteiligten Konzerne konnten durch den Bezug von der gemeinsamen Anlage die Kosten für rund 17,4% Ihres Asphaltmischgutbedarfs im relevanten Markt angleichen. Unter Berücksichtigung, daß die Kosten für Asphaltmischgut maximal rund 50% der Gesamtkosten von Straßenbauleistungen ausmachen, konnte das KOG keine relevante Kostenangleichung feststellen, die für sich allein einen Anreiz zur Koordination des Preisverhaltens am nachgelagerten Straßenbaumarkt gab.

Allerdings gelangte das KOG angesichts der vom Erstgericht festgestellten nahezu gleichen Preise für von den Straßenbauunternehmen der jeweiligen Partner angebotenen Asphaltmischgut bis zum Jahr 2004 und unter Berücksichtigung, daß

  • die Beteiligten zu den drei größten Straßenbaukonzernen gehören,
  • aus anderen Anlagen zu anderen Preisen jederzeit Mischgut beziehen können und
  • über Beteiligungen an weiteren Anlagen im relevanten Markt verflochten sind (Netzeffekte),
  • auf der Ebene der Geschäftsführung der gemeinsamen Anlage Verflechtungen mit weiteren Mischwerken bestehen
  • ein Informationsaustausch über die Kosten der Vorprodukte stattfindet

zu der Auffassung, daß nach den Gesamtumständen genügend Anzeichen zur Rechtfertigung der Annahme vorliegen, das festgestellte Preisverhalten beruhe auch auf einer auf die gemeinsame Produktion zurückzuführenden Koordinierung des Wettbewerbsverhaltens.

Das KOG sprach daher aus, daß die gemeinsame Produktion unter § 1 Abs 1 KartG 2005 fällt. Für eine Beurteilung, ob die Legalausnahme (§ 2 Abs 1 KartG 2005) gegeben ist, reichen die Feststellungen nicht aus. Diese Frage ist erst durch die im rekursverfahren eingetretene Änderung der Rechtslage relevant geworden. Den anderen Parteien ist dazu Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Das KOG verwies außerdem auf § 27 Abs 1 KartG 2005 (Verpflichtungszusagen). Sollten die Voraussetzungen des § 2 Abs 1 KartG 2005 nicht erfüllt sein, muß den Antragsgegnern die Möglichkeit dieser Bestimmung gewahrt bleiben. 

Dem Rekurs der Antragsgegner war daher im Sinn des Aufhebungsantrages stattzugeben und die Sache zur Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückzuverweisen.